Aufbruchstimmung in Kolumbien

Erste Übereinkunft zwischen der kolumbianischen Regierung und den Farc-Rebellen in der Agrarfrage

In der kolumbianischen Nationalhymne singt man schon in der ersten Strophe: “vorbei ist die schreckliche Nacht” (cesó la horrible noche) und bezieht sich dabei auf die Befreiung aus den Krallen der Kolonialmacht Spanien (um 1820). Ich singe oft mit, komme aber um ein komisches Gefühl nicht herum: mir scheint, dass diese Nacht immer noch recht dunkel ist, vor allem dann, wenn es um die Bodenverteilung in diesem riesigen Land geht.



Die spanischen Kolonialherren (auch die Kirche) hatten Unmengen von Ländereien den Indianern weg geraubt und die Befreiung dieser Länder von Spanien änderte, vor allem in der Landfrage, eigentlich nichts. Die neuen Machthaber im Lande blieben weiterhin Besitzer riesiger Haciendas – bis heute.

Ein international angenommener Messwert (Gini) gibt die absolute  Konzentration von Bodenbesitz in wenigen Händen mit dem Wert 1 an. Nach Angaben der UNO kommt man mit diesem Wert hier in Kolumbien auf 0,85; also schrecklich ungerecht verteiltes Land, in den Händen von politisch einflussreichen Personen, paramilitärischen Gruppen, Guerilla und internationalen Unternehmen.
Dieselbe UNO rechnet damit, dass hier 1.5% der Bevölkerung immer noch 50% des bebaubaren Bodens besitzt.  In den letzten 200 Jahren versuchte man oft, diesem Missstand ein Ende zu bereiten und eine gründliche Agrarreform einzuleiten. Doch immer scheiterte diese gute Absicht am Widerstand der mächtigen Grossgrundbesitzer (hacendados). Dazu kommt noch eine weitere, schreckliche Tatsache: der Konflikt in Kolumbien (seit 1960) vertrieb rund 5 Millionen Menschen von ihren angestammten, ländlichen  Lebensräumen und enteignete somit 6.6 Millionen Hektaren Land: vor allem Kleinbauern, die ihr Gut verlassen mussten und jetzt in den Slums der Grossstädte zu überleben versuchen.

Eine hoffnungsvolle Wende

Unter internationalem Druck wurde im letzten Jahre von Regierung und Parlament ein Gesetz verabschiedet, das einerseits die Opfer dieses Konfliktes entschädigen soll (da ich 1988 von der Guerilla entführt wurde, bekam ich, gemäss diesem Gesetz, ebenfalls den Status eines Opfers, zusammen mit meiner Familie). Andrerseits wurde beschlossen, dass die ungerecht enteigneten Familien ihr Land wieder zurückerhalten sollen. Bis heute hat man rund 500´000 Hektaren Land an ihre rechtmässigen Besitzer zurückgegeben.
Dass dies nicht einfach so vor sich geht, ist in einem Land wie Kolumbien fast selbstverständlich: bis heute wurden mindestens 20 dieser enteigneten Kleinbauern/bäuerinnen ermordet, die vor den Richter gingen, um ihr Land zu verlangen. Doch die Regierung ist fest entschieden dieses Gesetz durchzusetzen.

Das neu in Kuba unterzeichnete Agrarabkommen zwischen der Regierung und den Farc-Guerilleros geht nun einen gewaltigen Schritt weiter. In den folgenden  Punkten kann dies zusammengefasst werden:
  • Es wird eine Art Landbank geschaffen: aus illegal enteigneten Bauerngütern und Ländereien im Besitz der Regierung sollen rund 6 Millionen Hektaren Land an landlose Bauern verteilt werden. Grossgrundbesitze, die nicht in rechter Form oder überhaupt nicht bewirtschaftet werden, sollen enteignet und an diese Familien abgegeben werden.
  • Der Landbesitz in Kolumbien soll endlich formell erfasst werden. Man rechnet, dass hier rund 40% des Landbesitzes  in den rechtlich dazu geschaffenen Registern nicht eingetragen ist, was natürlich auch die gewaltsame Enteignung wesentlich erleichterte und dadurch dem Staat Milliardenbeträge an Steuern entgingen.
  • Die neuen Landbesitzer sollen von der Regierung die notwendige Unterstützung in Bezug auf Gesundheitsversorgung, Erziehung, technische Ausbildung, Zufahrtsstrassen, Bewässerung  des Landes, Kredite etc. erhalten.
Über die Realisierung dieser Gesetze und Abkommen bin ich allerdings nur gemässigt optimistisch. Bei dieser neuen Landverteilung geht es um viel Geld und meistens dann auch um Blutvergiessen. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die so notwendige Agrareform endlich, nach 200 Jahren,  Form erhält und den Armen zu einem besseren Leben verhilft.

Richard Aufdereggen
Die Verhandlungen in Kuba gehen weiter. Themen wie: politische Teilnahme der Guerilla in den verschiedenen Ebenen der Staatsgewalt, die Opfer des Konfliktes und die notwendige Entschädigung, etc. stehen an. Auch hier ist mein/unserer Optimismus gemässigt, doch es könnte durchaus sein, dass wir auf Ende dieses Jahres ein Friedensabkommen haben. “Ojalá Dios quiera”, wie man hier so oft sagt, (hoffentlich ist es der Wille Gottes)!


Richard Aufdereggen

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