Wie der Rohstoffhunger mit Kulturen und der Umwelt umgeht: am Beispiel des schweizerischen Rohstoffkonzerns Glencore in Kolumbien

von Richard Aufdereggen, Bogotá

Die Halbinsel Guajira im Norden Kolumbiens wird seit Menschengedenken vom Indianerstamm der Wayúu bewohnt. Ihre eigene Sprache, ihre Bekleidung, ihre Landwirtschaftsmethoden wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Selbst die spanischen Eroberer konnten während Hunderten von Jahren die stolzen Wayúu-Indianer nicht “zivilisieren”. Auch die katholischen Missionäre hatten grosse Mühe, die christliche Botschaft den widerspenstigen Wayúus beizubringen.

Haus einer Wayúu - Familie
Richard Aufderweggen auf Besuch bei einer
Indianerfamilie, mit Grossmutter, Mutter und Tochter




Doch diese Abschottung begann sich zu durchlöchern, als die kolumbianische Regierung feststellte, dass sich in dieser Halbinsel mit ihren rund 600’000 Einwohnern riesige Bodenschätze vorfanden. Die Kohlevorkommen sind enorm, so auch die Gasreserven. Die Indianer hatten keine Ahnung von diesem gewaltigen Reichtum, der sich unter ihren armen Hütten angesammelt hatte, so ein Indianerhäuptling mir gegenüber.

Und damit begann das lange Sündenregister gegen die Wayúus. Die Zentralregierung witterte enorme Rohstoffvorkommen und damit gewaltige Einnahmen, was auch tatsächlich eintraf. Ohne je mit den Einwohnern zu sprechen wurden die ersten Bohrungen vorgenommen, Gasleitungen angelegt und dies auch verkauft. So die Gewinnung der Kohlenvorräte, zuerst durch kolumbianische Firmen, dann aber mittels Abbaulizenzen an ausländische Rohstoffunternehmen, da die Vorkommen über allen Erwartungen lagen. Man war in Bogotá derart fasziniert von dem gewaltigen zukünftigen Geldsegen, dass man nie an die gefährdete Kultur und die Umweltprobleme des Indianerstammes dachte. Anfängliche Proteste wurden mit Almosen besänftigt, so etwa mit 3 Ziegen pro Familie. (die Ziege ist das wichtigste Haustier der Wayúus).

Und nun kamen die ausländischen Firmen, unter diesen der Zuger Rohstoffkonzern Glencore. Die Kohlenvorräte sind derart gross, dass die Firmen eine 150 km – lange Bahnstrecke und einen Riesenhafen von 350 Millionen USD bauten um die gesamte Kohle rasch nach Europa und die USA zu senden. Jährlich werden 30 Millionen Tonnen Steinkohle verschifft. In der Mine El Cerrejón, einem Gebiet von 69‘000 Hektaren Land, bewegen sich hunderte von Baggern und Lastwagen und es arbeiten dort rund 5'000 Angestellte: ohne Zweifel der grösste Arbeitgeber auf dieser Halbinsel. Vielleicht die Hälfte dieser Kohlenarbeiter stammen aus der Guajira. Durch die Förderung entsteht aber Kohlenstaub, den der Wind in alle Himmelsrichtungen übers flache Land trägt. Er setzt sich, kaum sichtbar, auf Pflanzen und Feldern fest, dringt in die Häuser ein, in die Atemwege der Menschen. Das vielleicht Perfideste am Kohlenabbau ist seine vermeintliche Harmlosigkeit. Doch der Stammesgoverneur Ricardo B. zeigte mir sein kleines Wasserreservoir nicht weit entfernt von der neuen Eisenbahn, voll von Kohlepartikeln. All diese Umweltverschmutzung hat ohne Zweifel Auswirkung auf die Gesundheit der Wayúus, vor allem der Kinder, wie mir ein einheimischer Arzt erklärte.

Nun könnte man annehmen, dass die Bevölkerung von diesem Riesensegen profitiert. Doch dem ist nicht so. Die grossen Unternehmen bezahlen ohne Zweifel die vereinbarten Abgaben an die Zentralregierung. Doch nur ein kleiner Teil davon kommt zurück auf die Halbinsel und versickert (fast komplett) in den Taschen der Lokalpolitiker. Glencore und ihre Partner sind sich dieser alles auffressenden Korruption bewusst und haben nun versucht, mit eigenen Entwicklungsprojekten den Einwohnern zu helfen: Schulen, Spitäler, Wasserzufuhr und Strassen. Doch auch hier begann die Korruption bei den Ortsleaders, die sich plötzlich am Geldsegen freuten und einen Teil in die eigene Tasche leiteten. Aus diesem Grunde sprechen hier viele vom guten Nachbarn und meinen die ausländischen Unternehmen. Der Geldsegen für einige wenige Indianerfamilien hat diese ihre Kultur der Ehrlichkeit vergessen lassen. Doch der grösste Teil der Bevölkerung bleibt weiterhin arm und die Kindersterblichkeit im Dept. Guajira ist die grösste in ganz Kolumbien. Wöchentlich sterben Kinder an Hunger erklärte mir ein Professor an der Universidad Guajira.

Inzwischen hat man festgestellt, dass unter dem Flussbett des Rio Ranchería (der wichtigste Fluss der Halbinsel) noch viel mehr Kohle liegt und bereits liegen Pläne vor, das Flussbett abzuleiten. Sollte dies tatsächlich geschehen, befürchten nicht nur die Indianer, sondern auch Wissenschaftler, könnte dann die Halbinsel erst recht vertrocknen.

Wenn der Kohlenabbau so weitergeht wie bis heute, bleibt am Schluss nur noch eine vertrocknete Guajira mit Kohlenstaub überall, verarmte Indianer ohne Wasser und Gras für ihre Ziegen und eine gebrochene Wayúu-Gemeinschaft, die keine Zukunft mehr hat. Und dies alles, weil Europa und die USA nach diesen billigen Rohstoffen suchen und ihn auch ausbeuten, und weil es Rohstoffkonzerne, wie Glencore gibt, die (fast) nur an grossen Gewinnen interessiert sind, wie auch die kolumbianische Regierung. Und schlussendlich die Schlussverbraucher in Europa, deren Energiepreise vielleicht sinken werden, weil dieser Raubabbau in Kolumbien billiger ist als nach anderen umweltfreundlicheren Energiequellen zu suchen.

Bericht erschienen im Walliser Boten am Samstag 17. Oktober

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